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Von „Lassek“, 3. 12. 2013.

Meine Antworten kursiv.

 

Zur Veröffentlichung in der Rubrik „Korrespondenz“ zur Fortführung der Diskussion im Gästebuch:

Zitat "Über Musik und ihre Emotionen zu schreiben ist bekanntlich immer problematisch."

Interessant! Da scheint es mir jedoch eigentlich umso merkwürdiger, dass Sie genau das in sehr pauschaler, für Sie scheinbar unproblematischer und selbstsicherer (verzeihen Sie den diffamierenden Begriff, aber so wirkt es: chauvinistischer?) Weise bei der "Gewaltmusik" tun?

Ich meinte: Das verbale Beschreiben von Emotionen, insbesondere wenn sie von Musik ausgelöst werden.


Natürlich gibt es gravierende Unterschiede in der emotionalen Wirkung. Nur gibt es m.E. mindestens(!) genauso gravierende Unterschiede innerhalb der "Klassik" und innerhalb der "Gewaltmusik" wie zwischen ihnen. Für mich ist Mozart näher an einem Pop-Song als an Wagner; Schönberg sehr viel näher am Freejazz als an Palestrina und "metal" näher an Wagner als an "disco fox".
Tendenziell würde ich vllt. vermuten, dass "populäre Musik" direkter wirkt als "klassische", dass es mehr Zeit und Einsatz bedarf, die klassische Musik zu verstehen und zu durchdringen. Aber selbst das kann man nicht verallgemeinern! Ich denke, eine Beethoven-Sinfonie wirkt direkter als z.B. "modern jazz". Und was eine derart merkwürdige, gradezu absurde neue Stilrichtung wie „noise“ soll, dürfte sich den allerwenigsten Menschen erschließen, obwohl oder gar weil sie sehr direkt ist. Das Feld ist SEHR komplex!
Ich habe den Eindruck (widersprechen Sie mir), dass "klassische Musik" für Sie grundsätzlich das "Schöne, Wahre und Gute" verkörpert und "Gewaltmusik" grundsätzlich das "Aggressive und Sexuelle" und Unterschiede auf beiden Seiten(!) lediglich in verschiedenen Abstufungen und Gewichtungen darin bestehen.

Das ist richtig, wobei zu berücksichtigen ist, dass ich meine Definitionen von „Gewaltmusik“ und „klassischer Musik“ daran ausrichte. Diese Begriffe, ihre Problematik und mögliche Alternativen habe ich in „Gewaltmusik – Musikgewalt“ diskutiert.


Ihre Grundannahme, dass Musik alle möglichen Wirkungen auf den Menschen ausüben kann, teile ich – ja ich halte es sogar für lächerlich, dies abstreiten zu wollen. Und daraus kann man vermutlich tatsächlich wirklich viel ableiten (insb. auch vieles nicht- oder kaum Erforschtes!)
Aber diese Art von Schwarz-Weiß-Malerei, die Sie in der kategorischen, aufs Äußerste simplifizierenden Zweiteilung alles Erklingenden in gut und böse betreiben, halte ich für eine mindestens(!) ebenso lächerliche Schlussfolgerung wie es das Abstreiten der Grundannahme wäre.

Dass es neben Schwarz und Weiß auch eine Grauzone gibt, habe ich in meinem Buch wie auch immer wieder in Diskussionen gesagt. Man kann ja auch das Leben in Pflanzen und Tiere (mit der „Grauzone“ der Pilze) einteilen, obwohl es innerhalb der beiden Kategorien große Unterschiede gibt.


 

Auch ein Schubert-Lied kann erotisch sein, ganz zu schweigen von den vielen Opernarien ("la ci darem la mano") oder erst die Madrigale von Gesualdo. Nicht erst Strawinskys "Sacre" oder Schostakowitsch auch Wagner, Bruckner, Beethoven sind nicht nur erhaben-pathetisch, sondern auch aggressiv. Auch kann ein Queen-Song einfach nur schön sein (mit Pathos ohne Aggressivität z.B.), "metal" oder "Jazz" kann "Wahrhaftiges" über den Menschen erzählen und Pop-Songs friedensstiftende Wirkungen haben (nicht nur bei den großen Liedermachern).

Ich bezweifle, dass das Hören eines Schubert-Liedes oder Gesualdo-Madrigals den Wunsch nach sexueller Betätigung weckt. Für Gewaltmusik wird dergleichen jedoch immer wieder bezeugt.

Klassische Musik (in dem von mir gemeinten Sinn, also durchaus Wagner, Bruckner, Beethoven, Strawinskys „Sacre“ ist „Grauzone“) kann Aggression wohl darstellen, aber nicht wirklich ausdrücken. Ein Gewaltmusiker drückt Aggression aus, die er empfindet. Wenn dagegen ein klassischer Musiker „aggressive“ Stellen oder Sätze eines Werkes spielt, ist er selbst wohl kaum aggressiv.



Was Sie über die grundsätzlichen, fundamentalen Unterschiede zwischen "Klassik" und "Gewaltmusik" schreiben, mag auf äußerst simplifizierende Weise eine richtige Tendenz andeuten (Ja, ich gebe es hiermit zu: einen kleinen Kern von "Wahrheit" enthalten!), aber es ist weiß Gott alles andere als ein ehernes Gesetz (auf dessen Grundlage Sie ja sehr sehr weitreichende juristische Konsequenzen anstreben)
Die Auswertung von Kriminalitätsstatistiken kann in einer solchen Betrachtung einen (nicht unwichtigen) Baustein darstellen, aber ausschließlich auf diesen einen Stein (auch wenn dieser eine sehr deutliche Richtung aufzeigt) ein ganzes Fundament für Musikästhetik, Musiksoziologie, Theorie über Einfluss- und Machtpotenzial von Musik zu bauen, scheint mir doch sehr schwach und wackelig!

Es ist eben nicht nur „ein Stein“, sondern es sind mehrere (nach Gewaltmusik – Populäre Musik und Werteverfall, S. 81):

1. Gewaltmusik trat unmittelbar vor dem nachhaltigen Anstieg der Kriminalität in einer neuen, besonders aggressiven Form (dem Rock’n’Roll) in Erscheinung und traf dabei auf die massenmedialen Voraussetzungen, um in großem Umfang verbreitet und konsumiert zu werden.

2. Gewaltmusik wirkte zunächst, in den 1950er und 60er Jahren, hauptsächlich auf die Jugend ein, die wiederum den Werteverfall einleitete.

3. Gewaltmusik nahm, wie auch der Werteverfall, ihren Ausgang von den USA.

4. Es gibt weitere Parallelen zwischen der Verbreitung von Gewaltmusik und dem Anstieg der Kriminalität (Öffnung der innerdeutschen Grenze, Aufstieg der Rapmusik bzw. HipHop-Kultur).

5. Gewaltmusik steht in besonders auffallender Verbindung zu illegalen Drogen; Drogendelikte haben die höchsten Steigerungsraten überhaupt erfahren: in Deutschland vervierundneunzigfachten sie sich von 1964 bis 1989.

6. Gewaltmusik steht für Hedonismus und Egoismus.

7. Gewaltmusik verneint traditionelle Werte wie Gesetzestreue, Pflichtbewusstsein und Bildung.

Hörer.

8. Gewaltmusik steht für die sexuelle Revolution.

9. Wissenschaftliche Studien und zahlreiche Fallbeispiele belegen die negative Wirkung von Gewaltmusik auf Einstellungen und Verhalten der Hörer.



Eine erste These meinerseits wäre, dass sich Emotionen (in der nahezu gesamten menschlichen Spannbreite!!) in der „Klassik“ tendenziell komplexer, quasi sublimierter mitteilen, sodass es leichter ist, diese Emotionen lediglich innerlich zu erleben (wobei ich. z.B. das vollständig regungslose Zuhören im Konzertsaal auch der klassischen Musik gegenüber nicht angemessen empfinden – eigentlich müsste sich auch bei einer Bruckner-Sinfonie bei ihren krassen Spannungsbögen das Publikum in seinen Sitzen aufbäumen und zusammensacken – ansonsten hat es eigentlich von der Musik nicht viel verstanden). Es ist schwerer, aus der klassischen Musik ein geschlossenes Lebensgefühl abzuleiten, das sich dann in einer ganz bestimmten Lebensweise niederschlägt – nicht nur weil die Emotionen sublimer präsentiert werden, sondern auch weil sie vielfältiger sind (besonders deutlich z.B. bei Mahler!), sodass man sich kaum mit allen gleichermaßen identifizieren kann, um dadurch ein geschlossenes Lebensgefühl daraus abzuleiten.

Wenn sich diese These erhärten sollte, läge die praktische Konsequenz weniger in dem Versuch, zwielichtige Subkulturen abschaffen zu wollen, sondern sie zu sublimieren und auszuweiten, quasi zu integrieren; vielleicht ähnlich wie dies in der fortschreitenden Vergeistigung in der Jazzgeschichte geschehen ist (Musical [Pop-Musik], Rockoper und ähnliche Projekte gehen wohl in diese Richtung; bezeichnenderweise bedient sich Filmmusik weiterhin überwiegend der klassischen Musik-Idiomatik – vielleicht weil dies den komplexeren Handlungen, psychischen Innenwelten der Filmfiguren etc. besser entspricht als die eindimensionalere Grundstimmung der „Gewaltmusik“-Stile)

Zitat: „Wenn es keinen grundlegenden Unterschied gäbe, würden alle Rock- oder Rapanhänger mit der gleichen Begeisterung klassische Musik hören; oder etwa nicht?“


Ähm, selbstverständlich nicht! Muss man das wirklich begründen? Das liegt doch auf der Hand. Sie sind doch promovierter Wissenschaftler. Da finde ich einen solchen logischen Fehlschluss erstaunlich. Dann drehe ich das mal um: Wenn alle „Gewaltmusik“ grundlegende Gemeinsamkeiten haben („alles nur unterschiedliche Ausprägungen und Betonungen von Sexuellem und/oder Aggressivem“) dann müsste nach dieser „Logik“ jeder „Gewaltmusikhörer“ auch jeden anderen Gewaltmusik-Stil mögen (gar mit der gleichen Begeisterung). Dass ein eingefleischter Rockmusiker auch Klassik schätzt, ist jedoch deutlich wahrscheinlicher als dass er dem Techno nur irgend etwas abgewinnen könnte. Und dass ein Opernorchester-Musiker auch mal das „normale“ Radio einschaltet, ist noch deutlicher wahrscheinlich als dass er in seiner Freizeit gregorianischen Gesängen lauscht. Allgemeiner gesagt: Man kann doch von unterschiedlichen Dingen im Leben begeistert sein, die nichts miteinander zu tun haben; ebenso wie man zwei Dingen auch aufgrund viel weniger fundamentaler Unterschiede nichts mehr abgewinnen kann. Ist das nicht ein Allgemeinplatz? Mal ganz ganz banal gesagt: Ich kann Straciatella-Eis lieben und Waldmeister-Eis hassen, aber dennoch Wirsing lieben. Das ist natürlich nur eine platte Analogie – auch ich halte die Frage der Vorliebe für bestimmte Musik für wesentlich existenzieller als die Frage „Vanille oder Schokolade“ - grade Ihr Fall zeigt ja besonders deutlich, dass die Musikfrage oft eher in Richtung Gretchenfrage und Glaubensbekenntnis geht. Und das finde ich prinzipiell sogar gut so – solange es nicht in einen „chauvinistischen“ offenen(!) Kampf(!) der Kulturen umschlägt.

„Man kann doch von unterschiedlichen Dingen im Leben begeistert sein, die nichts miteinander zu tun haben“

Da stimme ich Ihnen durchaus zu. Natürlich gibt es Menschen, die von Rockmusik wie von Klassik begeistert sind, aber dann, weil sie gewissermaßen „zwei Seelen in ihrer Brust“ haben, und nicht, weil sich beides so ähnlich wäre. Die große Abneigung, welche gewiss die Mehrzahl der Gewaltmusikhörer gegenüber klassischer Musik hegt, kommt daher, weil beide Bereiche so fundamental unterschiedlich sind.



Ich bin für das Gesamtkunstwerk und für Kunstreligion! Wagner hat dabei jedoch einen Maßstab vorgelegt, dass eine weitere Differenzierung über das Potenzial jedes noch so großen Genies hinausgeht. Karl-Heinz Stockhausens absurde Opern-Heptalogie „Licht“ ist eher Beweis als Widerspruch. In der Theorie hat er damit jedoch wichtige Richtungen aufgezeigt, in welche Richtung ein künftiges allumfassendes Gesamtkunstwerk gehen könnte (Modulation zwischen Musikstilen statt zwischen Tonarten!!). Selbst die Geniegrenzen von Filmregisseuren sind langsam gesprengt. Dies kann nun nur noch im „Teamwork“ entstehen, sodass es synkretistisch werden muss – ergo auch den Graben zwischen E und U sprengen!

Zitat: „Ein Beispiel: Wo klassische Musik z.B. Freude ausdrückt, ist es bei Gewaltmusik "Spaß", der gerne auch auf Kosten anderer gehen darf.“


Geht es eigentlich überhaupt noch platter? Also die Freude, die sich im Scherzo einer Bruckner-Sinfonie ausdrückt, ist doch wohl wesentlich(!) aggressiver als beispielsweise die oberflächliche „gute Laune“, die meinetwegen irgendein Sommerhit vermittelt.

Da steht Aussage gegen Aussage. Ich habe jedenfalls etliche Aussagen von Hörern gefunden, bei denen Gewaltmusik ein Bedürfnis nach Gewalt (bis hin zu wirklichen Taten) ausgelöst hat. Von klassischer Musik ist mir das nicht bekannt.

Was das "auf Kosten anderer" betrifft: Welche Musik ist es denn in aller Regel, die in rücksichtsloser Weise der Umwelt bei Feiern, in gastronomischen Betrieben oder aus extrem laut aufgedrehten Autoradios der Umwelt aufgezwungen wird? Und nein, das liegt nicht daran, dass es mehr Gewaltmusik- als Klassikhörer gibt, denn wäre es proportional dazu, dann wäre klassische Musik viel öfter daran beteiligt. 



Wenn ich so lese, wie Sie anscheinend selbst über „klassische Musik“ denken, hätte ich zunächst den Eindruck, dass Sie auch deren Tiefe gar nicht begreifen, dass es Ihnen darin nur um behaglich-biedermeierliches Einlullen-Lassen in gefälliger Harmonik ginge. Dem widerspricht jedoch weniger Ihr Doktortitel, sondern vielmehr Ihre Judas-Passion (in die ich zugegeben nur kurz reingehört habe), die zwar m.E. wohl nicht als Genie-Meisterwerk in die Geschichte eingehen wird, aber wirklich gut ist und auch durchaus bemerkenswerten Tiefgang hat.

Verzeihen Sie die Polemik, aber können Sie (in der schriftlichen Reflexion) überhaupt irgendetwas an musikalischen Emotionen differenzieren, das über die platte Dichotomie „sexuell-aggressiv versus 'gut' “ hinausgeht? Merken Sie vielleicht auch, dass es Ihren Aufsätzen und Kommentaren angesichts der extremen Weitreiche ihres Inhalts massivst an Tiefgang fehlt?

Auf welche Aufsätze beziehen Sie sich? „Was macht Musik mit uns?“ ist für Kinder geschrieben. Die anderen haben meiner Ansicht nach durchaus „Tiefgang“, bedienen sich allerdings einer verständlichen Sprache, was manche Kollegen von der Avantgarde- oder Philosophie-Fraktion vermeiden, um „Tiefgang“ vorzutäuschen.

 

 

 

 

 

 

 

29. 1. 2012 - Korrespondenz mit Albrecht Ernst

 

 

 

Sehr geehrter Herr Dr. Miehling,

 

 

 

ich bin selbst Student der Jazz- und Popularmusik und kann die Ansichten, die Sie in ihrer Schrift "Was sie über Jazz wissen sollten" nicht teilen. Dies betrifft mehrere Punkte.

 

 

 

Ganz im Gegenteil ihrer Behauptung muss ich feststellen, dass meine Mitstudenten und -musiker gleich unserer klassischen Kollegen keine erhöhte Gewaltbereitschaft oder Drogenaffinität zeigen. Der erhöhte Konsum von Alkoholika zum Beispiel korreliert nach meinen Erkenntnissen eher fächerübergreifend nach Wahl des Instrumentes. So sind Blechbläser der Klassik und Jazzabteilung doch die eher trinkfesteren und auch geselligeren Charaktere, als zum Beispiel Pianisten.

 

 

 

Was mir am meisten bei ihren Ausführungen auffällt, dass Sie bei der "kriminellen" Entstehungsgeschichte des Jazz die Problematik der Rassensegregation völlig ausblenden. Gerade in der heißen Entstehungs- und Entwicklungsphase dieser Musik vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die späten 1960er war das Problem der Rassentrennung nach Jahrzehnten des Sklavenverbotes in vielen Teilen des täglichen Lebens in den USA von der Gesellschaft nicht gelöst worden. Gerade in den Anfängen des Jazz waren Schwarze zwar keine Sklaven mehr, aber ihnen waren die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg weitesgehend verstellt, gesellschaftliche Akzeptanz fand faktisch nicht statt. Dieser Zustand hielt bis weit in die 50er an und erfuhr nur langsam eine Besserung. Eine Flucht in Milieus und Illegalität bzw. Gewerbe niederer moralischer Werte war natürlich die Folge.

 

 

 

Die widrigen Arbeitsumstände, wie die Unterbezahlung schwarzer Musiker, der ständige Wettbewerb mit weißen Musikern, die wesentlich mehr Unterstützung erhielten, das Ringen um Anerkennung der eigenen musikalischen Leistungen führte sehr häufig zu Drogenkonsum und damit Hand in Hand zu erhöhter Gewaltbereitschaft und Kriminalisierung. Von den Behörden, den Medien und auch der Wissenschaft war aufgrund der anhaltenden mangelnden Rassenakzeptanz keine Unterstützung zu erwarten. Damals wurden die von Ihnen erwähnten "geisteskranken Zustände" auch gern mit freiheitsberaubender Zwangseinweisung und für die Gehirnleistung extrem schädlichen Elektroschocktherapien behandelt. Daher ist bei Quellenzitaten aus dieser Zeit mit besonderer Vorsicht vorzugehen, wenn man sie dann so unkommentiert auf die Gegenwart bezieht, wie Sie es in ihrem Artikel auch gern tun.

 

 

 

Hier noch ein Hinweis zur historischen Präzision ihrer Angaben: Stan Getz war ohne Frage ein außerordentlicher Tenorsaxophonist, hat aber zu Lebzeiten keine Posaune gespielt.

 

 

 

Ihre Schlüsse zum Verantwortungsbewusstsein des Jazzmusikers in Sachen Beruf sind leider als Tatsache in keiner Weise haltbar.

 

 

 

Die seit seiner Entstehung immer mehr zunehmende harmonische und rhythmische Komplexität des Jazz verlangte den Musikern ein Höchstmaß an Übedisziplin ab. Charlie Parker und John Coltrane sind mit ihren täglichen bis zu 16 Stunden Üben sicherlich eine Ausnahme, aber generell ist Jazz, wenn er mit hoher Qualität gespielt werden will, was bei den von Ihnen erwähnten Musikern nachweislich der Fall war, ebenso übungsintensiv wie klassische Musik. Die Schwerpunkte liegen aber beim Jazz weniger auf zum Beispiel Intonation und dem Spiel komplizierter Notenbilder wie bei bei unseren klassischen Kollegen, sondern auf der korrekten Phrasierung, Aufrechterhalten der Energie in Form von Timeing, improvisierten Ausspielen harmonischer Wendungen, unterschiedlichste Tongebungen und -farben, Spannungsaufbau in Improvisationen und vieles mehr. Betrachten Sie einmal die Komposition "Giant Steps" von John Coltrane. Über eine derart komplexe Harmonieform flüssig zu improvisieren, ist

 

 

 

reine Fleißarbeit und nicht anders zu bewältigen. Dieser erhöhte Übeaufwand führte neben den ungünstigen und extrem häufigen Auftrittszeiten auch dazu, dass die Musiker sich am Rande der totalen körperlichen Erschöpfung befanden und daher zur Wiedererlangung ihrer Aufmerksamkeit auf Drogen zurückgriffen.

 

 

 

Ich kann Ihnen auf Anfrage gern noch mehr Beispiele zukommen lassen.

 

 

 

Das soll durchaus keine Entschuldigung für die tatsächlich damals vorhandene Kriminalität in der Jazzszene sein. Ich möchte Ihnen nur verdeutlichen, dass nicht die Musik die Ursache für diese ist, sondern die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz für Schwarze und die daraus resultierenden ungünstigen Lebensumstände, sowie der immens hohe Leistungsdruck aufgrund der zunehmenden Komplexität der Musik.

 

 

 

Die Jazzmusik ist viele eher künstlerische Flucht und Anprangerung der gesellschaftlichen Umstände gewesen. Schließlich ist sie ja auch neben der Soulmusik Träger der Black Power-Bewegung seit den 60er gewesen und brachte die Unzufriedenheit schwarzer amerikanischer Bürger zum Ausdruck und führte mit ihrer steigenden Popularität damit zu einer höheren Anerkennung Schwarzer in der Gesellschaft. Wann hat die Klassik jemals eine solche gesellschaftliche Umwälzung mitgetragen?

 

 

 

Ich möchte jetzt nicht weiter ins Detail gehen, aber im Groben habe ich Ihnen hoffentlich verständlich machen können, wo die Mängel in ihrer Arbeit über Jazz liegen: mangelnde, differenzierende Beschäftigung mit der Entstehungsgeschichte des Jazz; erhebliche Bildungslücken in den Biographien zumindest der wichtigsten Vertreter und ihrer musikalischen Leistungen; keine eindeutige Unterscheidung und Erörterung von Musikproduzenten- und -konsumentenkultur etc. Das zentrale Manko, welches sich durch ihr Werk zieht, ist aber der Versuch ein vielschichtiges, multikausales Gesellschaftsproblem mit einer monokausalen Lösung versehen zu wollen. Dieses betrifft übrigens auch ihre Rückschlüsse auf die derzeitige Situation in unserer westlichen Gesellschaft. Musik (genauso wie "Killerspiele") ist nicht der Auslöser von Werteverschiebung und zunehmender Kriminalität und Gewaltbereitschaft, sie ist nur Ausdruck einer Bevölkerungschicht, die die Folgen der drastisch abnehmenden sozialen Fürsorglichkeit unserer Gesellschaften in allen Bereichen besonders zu spüren bekommt: Kinder und Jugendliche. Ursachen und Lösungsansätze dafür zu finden, ist die Aufgabe aller klar denkenden Menschen, sie sich nach einem versöhnlicheren Zusammenleben sehnen. Aber den schwarzen Peter aufgrund einer so dürftigen Schlussziehung der Wirkung einer bestimmten Musikrichtung auf Menschen zuzuschreiben, das ist schon sehr eindimensional gedacht. Gerade Ihnen, Herr Dr. Miehling, als Akademiker sollte die differenzierende Arbeitsweise kulturhistorischer Wissenschaft vertraut sein. Daher wundere ich mich: Wie kommen Sie als hoher Vertreter der Musikwissenschaften zu solchen in vielen Belangen nachlässigen und unwissenschaftlichen, weil nicht ausreichend differenzierten Aussagen? Mangelnde Sachkenntnis spielt sicherlich eine Rolle, kann aber zur Beantwortung dieser meiner Frage nicht ausreichen.

 

 

 

Ein Gruß

 

 

 

Albrecht Ernst

 


 

Sehr geehrter Herr Ernst,

Ihre persönlichen Erfahrungen kann ich natürlich nicht zum Maßstab machen. Indes ließ mich Ihr Schreiben feststellen, dass ich in meiner kleinen Informationsschrift über Jazz noch nicht die umfangreiche Studie von North/Hargreaves (2007) berücksichtigt hatte. Nach dieser haben 38,6 % der befragten Jazzhörer eine „haftwürdige“ Straftat begangen, und auch beim Drogenkonsum sind sie überdurchschnittlich oft vertreten. Im sexuellen Bereich können sie es zwar mit den Hörern noch aggressiverer Musikrichtungen nicht aufnehmen, aber im Vergleich zu Klassikhörern haben trotz eines geringeren Durchschnittsalters fast doppelt so viele bereits mehr als einen Sexualpartner gehabt.

Dass die Situation der Schwarzen in den USA am Ende des 19. Jahrhunderts „natürlich“ eine „Flucht in Milieus und Illegalität bzw. Gewerbe niederer moralischer Werte“ zur Folge haben musste, bestreite ich, da moralische Werte unabhängig von äußeren Einflüssen Bestand haben – andernfalls sind sie eben nicht moralisch. Aber wir können das auch dahingestellt sein lassen, denn an der Herkunft des Jazz und seinem hieraus gründenden Charakter ändert das nichts.

Dass die Schwarzen mit dieser Musik für ihre Interessen eintraten, ist verständlich. Wenn jemand für seine Interessen eintritt, macht ihn das nicht zu einem besseren Menschen, und auch die Musik wird dadurch nicht besser oder harmloser. Ihre Frage nach der klassischen Musik ist berechtigt und nicht leicht zu beantworten. Geht man aber davon aus, dass Musik eine Wirkung hat, dann wird man der klassischen Musik, ohne sie für eine spezielle „Umwälzung“ heranziehen zu können, einen wichtigen Beitrag zur moralischen Bildung von Menschen durch die Jahrhunderte hindurch zusprechen können.

Ich versuche keineswegs, „ein vielschichtiges, multikausales Gesellschaftsproblem mit einer monokausalen Lösung“ zu versehen. Aber indem Sie mir dies unterstellen, machen Sie das gleiche wie so viele Politiker und andere Bedenkenträger: Sie verhindern Lösungen, indem sie jede zielführende Maßnahme mit der Bemerkung, diese alleine reiche nicht aus, ablehnen.

Schließt die offensichtliche Tatsache, dass Gewaltmusik und andere Gewaltmedien Ausdruck bestimmter Charakterstrukturen sind, denn aus, dass sie ebenso Ursache für charakterliche und gesellschaftliche Veränderungen sind? Warum sehen Sie die Sachlage so einseitig? Durch den Konsum von Gewaltmedien wird Gewalt bzw. eine aggressive Einstellung gelernt und eingeübt. Sie haben doch selbst den Beitrag des Jazz zur Emanzipation der Schwarzen genannt! Wenn die Musik dies (mit)bewirken konnte, warum sollte sie dann nicht auch andere Dinge bewirken können?

 

Von einer „drastisch abnehmenden sozialen Fürsorglichkeit unserer Gesellschaften in allen Bereichen“ kann keine Rede sein. Die Zeit der permanent steigenden Kriminalität bis zu den 1990er Jahren war auch eine Zeit permanent steigender Sozialleistungen und eines stets wachsenden Bemühens um Kinder und Jugendliche. Sogar Hartz-IV-Empfänger können sich Alkohol, Zigaretten und Unterhaltungselektronik leisten. Meine Eltern sind noch in der Schule geschlagen worden, und als meine Generation von ihren Eltern geschlagen wurde, galt das als völlig normal. Als ich ein Kind war, schien es undenkbar, dass Gewalt als Erziehungsmethode einmal verboten sein würde. Die Anforderungen in der Schule wurden (jedenfalls bis „G 8“ kam) immer mehr herabgesetzt (vgl. die Bücher von Michael Winterhoff). Im Fernsehen kann man fast rund um die Uhr auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Sendungen sehen (ob sie der Zielgruppe immer angemessen sind, ist eine andere Frage); zu meiner Zeit gab es da nur die „Kinderstunde“ und das „Sandmännchen“. In den 1980er Jahren begann die „Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis“, von ihren Gegnern auch als „Kuscheljustiz“ bezeichnet. Ist dadurch die Jugendkriminalität zurückgegangen? Im Gegenteil!

Wenn „Was Sie über Jazz wissen sollten“ das einzige von mir ist, was Sie gelesen haben, dann habe ich die Hoffnung, dass Ihre Fragen und Zweifel in meinen ausführlicheren Schriften überzeugende Antworten finden.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Miehling

 

30. 1. 2012

 

 

 

 

Sehr geehrter Herr Dr. Miehling,

vielen Dank für ihre Antwort.
Ich stelle mit Bedauern fest, dass Sie in keiner Weise auf die grundlegenden Verständnisprobleme und Bildungslücken ihrer Ausführungen in der Thematik Jazzmusik eingehen. Somit diskutieren wir über eine Kunstform (und das ist sie unbestritten), die ich zu verstehen suche (indem ich sie studiere) und Sie nicht einmal im Ansatz durchdrungen zu haben scheinen. Womit ihre ganze schöne Arbeit bedeutungslos wird und nur noch als Negativbeispiel in die Annalen der Musikwissenschaft eingehen kann. Schon allein die Aussage "der typische Jazzstil weist mit seiner Verwirrtheit, den wenigen Regeln und seiner unsauberen, verzerrten Tongebung... eine Affinität zu geisteskranken Zuständen auf" ist mit Abstand das unsachlichste was ich jemals über Musik gelesen habe und disqualifiziert diesen, sich gern durch ausführliche Quellenzitierung den Anschein von Wissenschaftlichkeit und Fundiertheit gebenden Aufsatz von jeglicher wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit welcher Musikrichtung auch immer.
Schon allein die Art der Verwertung der Quellen, die Sie anführen, ist haarsträubend und für einen Geisteswissenschaftler beschämend.
Mit Howard Hansons großartig reflektierter Aussage, dass der Hot Jazz (vermutlich meint er eher Bebop) zu einer Generation von Psychotikern führe, soll ihre These über die Nähe des Jazz zu Geisteskrankheit auch noch gestützt werden. Man kann wohl Hanson eine gewisse Sehertätigkeit zugestehen, was die spaltende Wirkung der Außen- und Innenpolitik der USA in den 40ern und kommenden Jahrzehnten an den Geisteszuständen ihrer Einwohner anrichten sollte, aber mehr auch nicht.
Generell schaffen Sie es nicht die Quellenlage zur Gefahr von Jazzmusik für den Geisteszustand in die Moderne zu transportieren, wie es im weiteren Verlauf ihrer Arbeit ersichtlich wird. Im Gegenteil je mehr die Quellen jüngeren Datums sind, verstricken Sie sich in ungelenken Konstruktionen ihrer These mit Quellen, die nichts damit zu tun haben. Ulrich Bäumer, Keith Roe, Armin Ayren; ihre Quellenzitate haben alle nichts mit Jazzmusik zu tun. Was Sie nur tun, ist, möglicherweise sehr sachlich recherchierte Quellen, die sich auf ein ganz anderes Thema beziehen, auf besonders unsachliche Art und Weise für ihre Theorie zurechtzubiegen. Nach dem Motto, wenn es bei Rock- und Heavy Metal-Musik passt, dann wird es auch bei Jazz stimmen. Das haben ja schon Hanson, Scott und ihre Kollegen damals gewusst. Das hat Adorno auch gewusst und der hatte bekanntlicherweise keine Ahnung von Jazz. Berechtigterweise sind seine Ansichten über Jazzmusik aus der modernen Musikwissenschaft getilgt und haben höchstens noch historischen Wert.
Am Ende setzen Sie dem ganzen Unfug auch noch die Krone auf, in dem Sie bekennen, dass es keine wissenschaftliche Arbeit gibt, die ihre These unterstützen könnte. Wie Sie sich dann auch noch verbiegen müssen, in dem Sie die gewaltbereite Anhängerschaft von Linksparteien mit der Häufigkeit von Linkswählern bei Jazzhörern in Verbindung zu bringen versuchen, ist schon ein starkes Stück.
Was bei Rock und Heavy Metal vielleicht passt - obwohl ich selbst das bezweifle -, scheint hier einfach nicht passen zu wollen.
Ich fasse zusammen. In ihrer Arbeit gibt es deutlich ersichtliche Mängel, die sie als wissenschaftliche Abhandlung, selbst als ernstzunehmender Denkanstoß disqualifizieren: fachlicher Unverstand des Verfassers in der Thematik Jazzmusik und im Aufbau einer schlüssigen Kausalkette - was mich am meisten wundert: wie haben Sie das bei ihrer Doktorarbeit gemacht? - und ungenügende Quellenlage.
Differenzierung ist doch häufig erst in der Nachschau möglich, daher sind Zeitzeugen sehr selten eine besonders gute Quelle, um von deren Differenzierung auf die eigene in der Nachschau zu schließen. Das wäre wie die Differenzierung der Entdeckung Amerikas an einer Aussage Christopher Columbus festzumachen.

Den Vorwurf den Sie mir machen, ich würde mit meiner Frage nach Multikausalität, mich wie so mancher Politiker verhalten, gebe ich glatt zurück. Im Gegenteil gleichen Sie mehr dem modernen Politikmachenden: ohne Sachverstand und Reflektion der eigenen Aussage sich zu blindem Aktionismus hinreißen lassen. Bei der Einführung des neuen ESM-Rettungsschirmes wussten laut Panoramaumfrage viele Entscheidungsträger nicht mal mit welcher Summe Deutschland beteiligt ist. Da sehe ich Parallelen zu ihrem dürftigen Fachwissen in Sachen Jazz.
Ich unterstelle Ihnen einfach, dass Sie gar keine Lösung finden wollen, sondern nur einen Sündenbock suchen, weil die von Ihnen gewählten Volksvertreter keine Ahnung haben, was sie anhand der desolaten Kinder- und Jugendsituation in Deutschland machen sollen. Soziale Fürsorglichkeit wird eben nicht mit hohen Sozialleistungen oder Herabsetzung des Schulniveaus erreicht, sondern mit gesellschaftlicher Unterstützung des Familienkonstruktes.
Im Übrigen können Sie gerade an der gewaltfreieren Erziehung heutzutage erkennen, dass Moral durchaus kein unveränderlicher Wert ist.
Lesen Sie mal ein paar Werke zur modernen Bindungsforschung, dann kommen Sie ganz schnell darauf, dass die Probleme in Deutschland in ganz anderen Bereichen liegen und wie man mit der ständig rückläufigen Geburtenrate und der täglich unsensibler und dümmer werdenden Jugend umgehen muss. Im übrigen ist das ihre Generation, die das verzapft hat. Sie haben doch die familienpolitisch untauglichsten Personen ins Amt gehoben, die beständig am Ast der jungen Familie sägen. Nun, vermutlich haben auch Sie keine Wahl gehabt, so wie es heute auch wieder der Fall ist.
Wer behauptet, dass Musik der Grund für eine gewaltvolle Jugend ist, der hat die einfachen Prinzipien von Ursache-Wirkung nicht verstanden.
Haben die Nazis gerne Menschen vergast, weil sie so viel Volkslieder gesungen haben? Haben die Russen Gulags errichtet, weil sie so gern auf der Balalaika spielen? Ist den Engländer bei ihren Genoziden in den Commonwealthstaaten etwa die klassische Musik zu Kopf gestiegen. Kunst mag ein Spiegel einer Gesellschaft sein, aber sie ist niemals verantwortlich für die Zustände in den selben gewesen. Sie ist Ausdruck eines Lebensgefühls und das kann durchaus gestört sein. Beethovens späte Klavierwerke wurden zu seiner Zeit als Krach empfunden. Emmanuel Bach wurde ob seiner Kunst von seinem Vater verachtet. Heute sind es alles großartige Werke. Wo fängt den dieser Zustand ihrer Meinung nach an, wo Kunst zu geistigen Desolationen führt? Ist Bartok oder Berg schon negativ beeinträchtigend oder doch schon Schostakowitsch oder Prokofjew?
Es gibt keine entartete Kunst! Ganz im Gegenteil kann sie Wegweiser sein, woran eine Gesellschaft leidet. Jugendliche stürzen sich ins Mengenbad der Diskotheken und Rockkonzerte und in betäubenden Lärm und Drogen, weil sie die zunehmende Isolation nicht ertragen und sie spüren wollen, dass sie am Leben sind. Senioren in unerträgliches Humtata, Hitparaden und Alpenwiesenschmacht, weil sie das Heimatgefühl vermissen und nicht mehr wissen wo sie hingehören, da man sie ihrer Nation beraubte und auch sie allein gelassen werden. Klassiker und Jazzer suchen ihr Heil im verkopften, im Intellektuellen andere im traditionellen oder im urtümlichen

Ein kleiner Einschub zum Thema Sex und Moral: In spätmittelalterlicher Minne wird Sex thematisiert, da ist Slipknot eine Kuschelrockband dagegen.
In der Kastratenoper haben Frauen masturbiert und ihre Sänger waren sexuelles Symbol und wurden mit Reichtum und Frauen überschüttet, da würde Bon Jovi vor Neid erblassen.
Der große Martin Luther schrieb noch, dass mehr als dreimal pro Woche Sex der Ehe schaden. Dreimal pro Woche!!! Da sieht der moderne Deutsche im Durchschnitt aber alt aus. Und diese Angabe beruhte sicherlich nicht auf Hirngespinsten, sondern auf Lebenserfahrung.
Was uns heute fehlt, ist doch gerade das bewusste Bekenntnis zum Leben, zur Lebensfreude und zum Lebenskampf. Zum Leben des Fötus, zum Leben des Kindes, der Jugendlichen, der Mittvierziger, der Wechseljährigen, der Alten. Alles muss verboten und sanktioniert werden, weil unsere Gesellschaft keine Wurzeln mehr hat. Wir schämen uns für alles mögliche, für unsere Geschichte, für unseren Sex, für unsere Kunst, für unsere Jugend usw. Es gibt keine Werte mehr, weil wir verlernt haben, sie anderen beizubringen, vorzuleben und uns nicht dafür zu schämen. Wir wissen ja gar nicht mehr voher unsere Werte tradiert sind. Wie versuchen es über Immigration zu lösen, indem wir unsere Grenzen für jeden öffnen. Die Folge ist, dass die Milieubildung und damit die Kriminalität steigt. Fachkräfte wandern aus, weil wir unsere Löhne durch Fremdarbeiter drücken lassen. In den Großstädten kann man z. T. als Deutscher nachts nicht auf die Straße gehen, weil ganze Stadtteile von fremden Kulturkreisen, Nazis oder Linksextremen beherrscht werden.
Schulen werden zu Orten der Gewalt, weil Lehrer völlig überfordert sind mit der Wertevermittlung. Bringen Sie mal als Lehrer nem 16-jährigen, halbstarken Türken bei, dass eine Frau keine "Schlampe" ist und der Streber aus der 8a nicht der "Jude" oder das "Opfer". Das sind Deutsche, das sind vielleicht Christen. Da kommen wir her, das sind unsere Wurzeln und du bist hier zu Gast und hältst dich an die Spielregeln unserer Kultur! Na, das erklären Sie dem mal.
Sie merken, dass wir hier vom hundersten ins tausende kommen, aber eine Musik, oder Kunst oder Computerspiele sind eine allzu leichte Erklärung für eine Problematik, die durch zwei Weltkriege, zwei Diktaturen und eine Demokratie, die keine ist, weil sie nicht mehr auf das Volk hört, gewachsen ist. Es brennt eine Volksseele und die löscht man nicht mit Killerspielverboten und Musikverteufelungen. Das sind nur Anzeichen dafür, dass wir noch nicht einmal im Ansatz verstanden haben, was hier in unserer Gesellschaft passiert und hilf- und ratlos einer Situation gegenüber stehen.
Ich will den Einfluss von Musik auf den Charakter eines Menschen gar nicht herunterspielen, aber dass ein Hörer klassischer Musik weniger Sexualpartner hat, keine Vorstrafen, keine Drogenkonsum, hat doch weniger mit der Musik zu tun, sondern mit dem gesellschaftlichen Milieu in dem er sich befindet und danach wird die Musik, werden die Medien gewählt.
Ein saufender, hurender Goethe ist mir dreimal lieber, weil er mir seiner Kunst zur Quelle des Seins vordringen konnte. Gewaltverherrlichende Musik und Medien zu verbieten, bringt keinen weiter. Wir müssen das gesellschaftliche Problem an der Wurzel angehen und nicht den Ausschlag der Allergie behandeln. Wie wäre es zur Abwechselung mit Mittelstand stärken, denn dort pegeln sich die Ausbrüche der Jugend am ehesten wieder ein, Familienleben befruchten, denn dort werden die Werte einer Nation vermittelt? Das christliche Wertesystem wieder aufrichten, was unserem Volk so ureigen ist.
Das weiter auszuführen, würde den Rahmen jetzt sprengen, eigentlich ist er das schon.
Fakt ist, dass ihre Arbeit aufgrund der angesprochenen Dürftigkeiten, nicht der Aufklärung dient. Ganz im Gegenteil, sie treibt die Verdummung der Volksgemeinschaft nur noch weiter voran und hilft eben nicht differenzierte Entscheidungen treffen zu können, sondern führt aufgrund der Unsachlichkeit, der Fehlinformation und -interpretation zu noch mehr Verwirrung. Denken Sie doch mal daran, dass ein Vater eines pubertierenden Kindes das liest. Die Götter stehen uns bei, der glaubt am Ende wirklich, dass das alles wissenschaftlich fundiert ist und Stan Getz Posaunist war und hat keine Ahnung, was dieser Mann, trotz seines traurigen Werdegangs, doch für wunderschöne Musik gemacht hat. Der hält sein Kind vielleicht davon ab, dass es sich intensiv mit dem Saxophonspiel beschäftigt und ein Talent, eine Lebensaufgabe entdeckt, glücklich wird und einen wichtigen Beitrag zur Kunst leistet.
Machen sie ihre Hausaufgaben, Herr DOKTOR der Musikwissenschaften, ich muss schließlich meine als Künstler auch machen! Wir beide tragen eine immense Verantwortung, um Möglichkeiten aufzuzeigen (mein Feld) und Erklärungen zu liefern (ihr Feld).

Gott zum Gruße
Albrecht Ernst

 

 

 

 

 

Sehr geehrter Herr Miehling,

in meinem letzten Schreiben habe ich eine Aussage getätigt, die ich korrigieren möchte. Natürlich hat nicht nur ihre Generation das Fiasko der derzeitigen politischen Führung "verzapft". Viele Generationen gehen natürlich wählen, aber Sie werden mir eventuell zustimmen, dass die derzeitige Politikerriege nicht im Stande ist, die Probleme unserer Gesellschaft zu lösen. Weiterhin hat sie aber auch nicht den Mut genau das zu bekennen und sich die einzige in solchen Krisenfällen richtige Hilfe zu holen: die Hilfe durch den direkten Willen des Volkes. Die Bevormundung und das mangelnde Vertrauen in den Volkskörper gehen also weiter. Den Eltern werden ja die Mittel aus der Hand genommen auf die Erziehung der Kinder einzuwirken, obwohl dies verbrieftes Grundrecht ist.

Freundliche Grüße
Albrecht
Ernst

 

 

Sehr geehrter Herr Ernst,


da Sie nochmals Stan Getz erwähnen: Dass er auch Posaunist gewesen sei, habe ich natürlich nicht erfunden, sondern irgendeiner Quelle entnommen. Ich werde den Jazz-Aufsatz überarbeiten und die falsche Angabe natürlich streichen.


„Was Sie nur tun, ist, möglicherweise sehr sachlich recherchierte Quellen, die sich auf ein ganz anderes Thema beziehen, auf besonders unsachliche Art und Weise für ihre Theorie zurechtzubiegen. Nach dem Motto, wenn es bei Rock- und Heavy Metal-Musik passt, dann wird es auch bei Jazz stimmen.“

Es gibt Unterschiede zwischen Musikstilen, und es gibt Gemeinsamkeiten. Eingangs des Aufsatzes schrieb ich: „Die stilistische Bandbreite des Jazz ist groß und reicht von reiner Klaviermusik über vulgäre Instrumentalklänge und lasziven Gesangsstil bis zu rockartiger Aggressivität.“ Folglich liegt es auf der Hand, dass Aussagen über Pop- und Rockmusik auch zu Bereichen des Jazz Gültigkeit besitzen. Auch habe ich stets deutlich gemacht, worauf sich die jeweiligen Zitate beziehen. Auf S. 3 oben habe ich über die Einordnung des Jazz nochmals ausdrücklich reflektiert. Ich habe mir also nicht vorzuwerfen, in irgendeiner Weise undifferenziert oder verfälschend gearbeitet zu haben.

„Differenzierung ist doch häufig erst in der Nachschau möglich, daher sind Zeitzeugen sehr selten eine besonders gute Quelle, um von deren Differenzierung auf die eigene in der Nachschau zu schließen.“

Ein Historiker, und das ist auch ein Musikwissenschaftler, wenn er sich mit der Vergangenheit befasst, muss selbstverständlich auch auf historische Quellen zurückgreifen. Die Zeitgenossen konnten Zusammenhänge noch im persönlichen Erleben feststellen. Der Gedanke liegt ja nahe, dass der Jazz in den ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anders wahrgenommen und gedeutet wurde als zu einer späteren Zeit, als die exzessive Aggressivität von Rock und anderen Musikrichtungen den Blick auf negative Seiten des Jazz verstellt haben.

„Sie haben doch die familienpolitisch untauglichsten Personen ins Amt gehoben, die beständig am Ast der jungen Familie sägen.“

Es gibt heute in Deutschland etwa 150 „familienbezogene Leistungen“, Recht auf einen Kindergartenplatz, Elternzeit, seit letztem Jahr sogar die Legalisierung von Kinderlärm. Wenn etwas der Familie geschadet hat, sind es die sexuelle Revolution und der Hedonismus, die wesentlich von den Gewaltmusikszenen vorangetrieben wurden. Allerdings sehe ich es durchaus als Fortschritt an, dass Menschen, die eigentlich keine Kinder wollen und/oder sich dieser Verantwortung nicht gewachsen fühlen, nicht mehr einem so großen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt sind. Angesichts der demographischen Daten ist dieser Druck freilich wieder etwas gewachsen.

„Kunst mag ein Spiegel einer Gesellschaft sein, aber sie ist niemals verantwortlich für die Zustände in den selben gewesen.“

Wie verträgt sich das mit der in Ihrem ersten Schreiben gemachten Behauptung, dass Jazz und Soul „zu einer höheren Anerkennung Schwarzer in der Gesellschaft“ geführt hätten?

Mit der Kritik am Verlust der Werte sind wir uns einig, und Sie schreiben hier viel Richtiges. Aber woher kommt dieser Verlust? Woher kommt denn die Darstellung von Frauen als „Schlampe“ und von Schwächeren als „Opfer“? Die türkischen Jungen haben das bestimmt nicht von Ihren Eltern oder aus der Moschee; sie haben es aus den Texten der Rapper!

Der ganze Werteverfall wurde und wird durch die jeweils aktuellen Jugendkulturen aufgebaut und erhalten, und die definieren sich zu einem wesentlichen Teil durch ihre Musik.

„[...] eine Musik, oder Kunst oder Computerspiele sind eine allzu leichte Erklärung für eine Problematik, die durch zwei Weltkriege, zwei Diktaturen und eine Demokratie, die keine ist, weil sie nicht mehr auf das Volk hört, gewachsen ist.“

Unsere Demokratie hört heute mehr auf das Volk als früher. Das beste Beispiel ist „Stuttgart 21“, wo „das Volk“ (auch wenn es sich schließlich als eine Minderheit herausstellte) eine Abstimmung erzwungen hat, mit der im Erfolgsfall rechtsgültig abgeschlossene Verträge zunichte gemacht worden wären. Das Wahlalter wurde von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt, und inzwischen können in einigen Bundesländern schon 16jährige an Kommunalwahlen teilnehmen.

„Ich will den Einfluss von Musik auf den Charakter eines Menschen gar nicht herunterspielen, [...]“

Genau das tun Sie aber die ganze Zeit.

„[…] aber dass ein Hörer klassischer Musik weniger Sexualpartner hat, keine Vorstrafen, keine Drogenkonsum, hat doch weniger mit der Musik zu tun, sondern mit dem gesellschaftlichen Milieu in dem er sich befindet und danach wird die Musik, werden die Medien gewählt.“

Sie erkennen nicht den Zusammenhang, dass die in einem Milieu vorherrschende Musik die Werte dieses Milieus widerspiegelt und weitergibt. Und Sie bedenken nicht, dass auch viele derjenigen Jugendlichen, die in einem der klassischen Musik zugetanen Milieu aufwachsen, sich davon ab- und den gewaltmusikalischen Jugendkulturen und deren Werten zuwenden.

„Wir müssen das gesellschaftliche Problem an der Wurzel angehen und nicht den Ausschlag der Allergie behandeln.“

Meine Rede. Aber an der Wurzel des Übels steht nun einmal der Einfluss der Massenmedien.

„Wie wäre es zur Abwechselung mit Mittelstand stärken, denn dort pegeln sich die Ausbrüche der Jugend am ehesten wieder ein, Familienleben befruchten, denn dort werden die Werte einer Nation vermittelt?“

Schauen Sie sich doch das „Familienleben“ in vielen Unterschichtsfamilien an: Da hocken Vater und Mutter mit Zigaretten und Bier den ganzen Tag vor dem Fernseher, und was die Kinder machen ist ihnen egal. Gerade habe ich in „Psychologie heute“ (Nov. 2010) einen erschütternden Artikel gelesen mit dem Titel: „Kinder vor den Eltern schützen?“

„Das christliche Wertesystem wieder aufrichten, was unserem Volk so ureigen ist.“

Genau dieses Wertesystem wurde von den gewaltmusikalischen Jugendkulturen zerstört. Dazu abschließend ein Zitat eines Experten für Jugendkulturen:

„Dennoch gelang es diesen Wenigen [Protestbewegung der „68er“], ihrer Zeit den Stempel aufzudrücken und schließlich sogar – wie keine andere Jugendbewegung zuvor – zur Initialzündung weitreichender Veränderungen in der Mehrheitsgesellschaft zu werden.

Ermöglicht wurde diese erstaunliche Wirkungsgeschichte nur dadurch, dass die sanften [?] Erschütterungen der Fünfzigerjahre durch Rock‘n‘Roll und Halbstarke, Jazzer und Exis, Teenager und die amerikanische Popkultur, dann schließlich der zweite rock- und popkulturelle Durchbruch der Beatles, Rolling Stones etc. immer mehr Menschen prägten oder zumindest sensibilisierten.“ (Klaus Farin: Jugendkulturen in Deutschland, Bonn 2011, S. 50)

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Miehling

 

  

31. 1. 2012 

 

 

 

Sehr geehrter Herr Miehling,

 

 

 

ich merke, dass ich die Diskussion hier anders führen muss. Sie haben ein großartiges Talent, sich immer den entscheidenden Fragen zu entziehen und nur auf das zu antworten, was Ihnen bequem erscheint. Ich habe das schon in ihrem Gästebuch bemerkt.

 

 

 

Deswegen werde ich die Fragen jetzt besser genauer stellen und durchnummerieren. Dann ist das Zuordnen der Antworten, wenn Sie sich an die Nummerierung halten, leichter.

 

 

 

Ich muss natürlich der Ehrlichkeit halber gestehen, dass ich Ihnen nur Frage stellen, die ich als unbequem für Sie halte. Aber ansonsten würde ich Ihnen ja gar nicht schreiben, dann könnte ich mir ja ihr nicht gerade billiges Buch kaufen. Schließlich sind es ja gar nicht so sehr die Thesen, die Sie aufstellen, die überall kritisiert werden, sondern die Kritik bezieht sich auf die Herleitung selbiger und die damit einhergehende Haltlosigkeit.

 

 

 

Auch ich beantworte im übrigen gewisse Fragen nicht. Das ist der Zeit geschuldet und wird hoffentlich nachgeholt. Aber es geht ja bei der Kritik auch nicht so sehr um mich und meine Ansichten, sondern um die Ihren.

 

 

 

Ich werde versuchen ihren Aufsatz peu à peu durchzugehen.

 

 

 

Was sind vulgäre Instrumentalklänge?

 

 

 

Nennen Sie Hörbeispiele von vulgären Instrumentalklängen!

 

 

 

Was ist ein lasziver Gesangsstil?

 

 

 

Nennen Sie Hörbeispiele eines lasziven Jazzgesangs!

 

 

 

Definieren Sie rockartige Aggressivität genau!

 

 

 

Nennen Sie Hörbeispiele rockartiger Aggressivität im Jazz!

 

 

 

Seit wann und wieso sind reine Klaviermusik, vulgäre Instrumentalklänge, lasziver Gesangsstil, rockartige Aggressivität Musikstile?

 

 

 

Was halten Sie von der These "Der stilistische Bandbreite des Jazz reicht von Blues, über Bebop, Bossa Nova, Hardbop, Fusion Jazz, Jazz Rock, Free Jazz bis hin zu sinfonischem Jazz, Funk und Soul."?

 

 

 

Was halten Sie von der These "Gern benutzte Stilmittel des Jazz sind neben vielen anderen angeschliffene Töne und Glissandi, unverschnörkelter, authentischer, teils stark an das Sprechen angelehnter Gesang, schnelle Tonläufe vorallem in hochenergetischen Phasen der Improvisation, das Zitieren bekannter Melodien, das Harmonie-Dissonanz-Prinzip zum Aufbau komplexer Spannungsbögen."? (Zugegeben bin ich kein Musikwissenschaftler, daher ist mein Vokabular manchmal etwas eingeschränkt.)

 

 

 

Was ist eine chaotische Melodie?

 

 

 

Nennen Sie Hörbeispiele chaotischer Melodien im Jazz?

 

 

 

Was ist eine Dissonanz?

 

 

 

Welche Musikrichtung/welcher Musikstil enthält keine Dissonanzen?

 

 

 

Viel mehr möchte ich Sie zunächst nicht weiter fragen. Alle weiteren Fragen werden später geklärt.

 

 

 

Ich bitte um ihr Verständnis und verbleibe mit einem

 

 

 

Grüß Gott

 

 

 

Albrecht Ernst

 

 

 

 

Sehr geehrter Herr Miehling,

 

 

 

ich habe noch einen Zusatz vergessen: wenn es Ihnen recht ist, können Sie die Diskussion natürlich auch auf ihrer Seite veröffentlichen. Ich habe gesehen, dass Sie eine Rubrik für überlange Beiträge eingerichtet haben.

 

 

 

Freundliche Grüße

 

Albrecht Ernst

 

Sehr geehrter Herr Ernst,

wenn Sie allgemein gebrauchte Begriffe wie „chaotisch“ oder musikwissenschaftliche Begriffe wie „Dissonanz“ nicht verstehen, dann nutzen Sie bitte einschlägige Lexika. Gegen Ihre beiden Thesen habe ich nichts einzuwenden; es gibt viele Möglichkeiten, einen Musikstil zu beschreiben, noch dazu einen so vielseitigen wie den Jazz. Hier könnte ich nun Sie auffordern, all die von Ihnen verwendeten Begriffe zu definieren und Hörbeispiele dafür zu nennen. Aber ich schlage vor, wir ersparen uns das gegenseitig.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Miehling 

 

1. 2. 2012

 

 

 

Sehr geehrter Herr Miehling,

ehrlich gestanden, ich bin ein wenig überrascht, dass Sie sich so schnell geschlagen geben. Als Wissenschaftler sollten Sie doch einen etwas längeren Atem haben.
Mir ist sehr wohl bewusst, was der Begriff "Chaos" bedeutet und auch "Dissonanz" ist mir nicht unbekannt, schließlich studiere ich Musik. Ich habe die Fragen formuliert, um genau das zu belegen, was ich Ihnen nun schon mehrmals unterstellt haben. Doch dafür muss ich kurz etwas ausholen:
Die Begriffe "Chaos", "chaotisch" oder "Chaot" sind, wenn Sie "allgemein" benutzt werden, abwertende, polemische Bezeichnungen. Da Sie, als Sie von "chaotischen Melodien" sprachen, sicherlich keinen wissenschaftlich-theoretischen Zustand des Chaos meinten (wie z.B. in der Chaosforschung) und auch noch selbst die allgemeine Benutzung bestätigen, handelt es sich also um eine polemische Behauptung. Sie trägt also nicht zu einer differenzierten Analyse von Jazzmusik bei, sondern spiegelt nur ihren persönlichen Geschmack wieder. Dieser scheint noch nicht mal sonderlich reflektiert, denn sie nennen keine Beispiele oder geben eine Erklärung für ihre ganz persönliche Erkenntnis.
Für den Erkenntnisgewinn des Lesers kann es auch nicht zuträglich sein, denn dass der Jazz durch "chaotische Melodien" geprägt ist, können Sie musikwissenschaftlich nicht belegen und geben aber auch keinen Einblick, wie Sie zu dieser Behauptung kommen.
Die Beweislage für diese Äußerung ist also eindeutig: sie ist unwissenschaftlich und kann für eine Thesenformulierung nicht in Frage kommen. Das Sie dann noch ansprechen, dass der Jazz Dissonanzen enthält ist obsolet, aufgrund der vorangestellten Behauptung. Selbst ohne die "chaotischen Melodien" wäre der Satz eine Luftnummer, denn er besitzt keinen relevanten Informationsgehalt. Jede Musik enthält Dissonanzen. Es ist also eben wissenschaftlich gesehen kein Charakteristikum für Jazz, wenn es zur relationalen Differenzierung mit anderen Musikstilen dienen soll und das ist ja schließlich die Aufgabe dieses Satzes. Für die relationale Differenzierung zu anderen Musikstilen müssen sie aber relevante und vorallem spezifische Merkmale des Jazz in Bezug zu den konkreten anderen Stilen nennen. Zum Beispiel: "Der Jazz enthält MEHR Dissonanzen als die Klassik."
Zugeben, dass war hart an der Grenze zur Polemik, da nur ein Trottel, so eine Behauptung aufstellen würde, die sich jeglicher real zu bewältigender Empirie entzieht. Ein besseres Beispiel: "Der Blues als eine Stilrichtung des Jazz zeichnet sich durch eine häufige Benutzung der kleinen Terz als sogenannte "Blue Note" über modalen als Tonika und Subdominante dienenden Dominantseptakkorden aus."
Da finden sie Charakterisierung und wissenschaftliche Behauptung, weil es eben als eine Differenzierung von anderen Musikstilen empirisch nachvollziehbar ist (Zugegeben, die Formulierung könnte noch verfeinert werden.).
Ihre Aussage ist also eindeutig nach allen Regeln der Kunst keine wissenschaftliche These und hat somit in einer wissenschaftlichen Arbeit (auch solche, die nur den Anschein erwecken sollen) als solche gekennzeichnet zu werden, indem man BETONT, dass es der persönliche Geschmack des Verfassers ist. Andernfalls ist sie zu unterlassen, denn sie könnte den Leser in der Erkenntnisgewinnung beeinflussen. Das wäre höchst unwissenschaftlich. Ist das etwa ihr Anliegen? Wenn ja, dann sollten Sie Bildzeitungsjournalist oder Politiker werden, aber für einen Wissenschaftler disqualifiziert Sie diese Art der Thesenführung.
Genauso verhält es sich mit ihren Behauptungen "vulgäre Instrumentalklänge", "lasziver Gesangsstil" und "rockartige Aggressivität". Wenn sie keine Definition ihrer Begrifflichkeiten geben (und dazu gehört selbstverständlich die empirische Nachweisbarkeit) so fehlt diesen Begriffen die Differenzierung. Ohne Differenzierung, können Sie keine Charakteristika definieren und ohne Charakteristika brechen ihre Thesen zusammen. Es bleiben also unterm Strich als einzige wissenschaftlich verwertbare Aussagen: "Die stilistische Bandbreite des Jazz... reicht von reiner Klaviermusik, über Instrumentalklänge und Gesang bis zu Rock."
Starkes Stück, Herr Dr. Miehling! Die Empirie sollte relativ simpel sein, aber ich brauche Ihnen nicht zu erklären, in welcher Semesterstufe einer Geisteswissenschaft man Thesen mit derartigem Informationsgehalt formuliert.
Verstehen Sie nun auch den Sinn meiner Fragen aus meiner vorangegangenen Email? Meine Thesen sind empirisch nachzuvollziehen, ob sie nun zutreffen mögen oder nicht. Ihre hingegen sind keine Thesen, es sind Geschmacksäußerungen und als solche nicht ausreichend gekennzeichnet. Wieder ein Beispiel, wie es lauten könnte: "Nach meinem persönlichen Geschmack/dem persönlichen Geschmack des Verfassers sind vulgäre Instrumentalklänge, lasziver Gessangsstil etc. Charakteriska des Jazz. Allerdings ist das empirisch nicht nachweisbar. Auch stören mich/den Verfasser die häufigen auf mich/den Verfasser chaotisch wirkenden Melodien und die Dissonanzen."
Merken Sie, Herr Miehling, wohin das führt? Vielleicht sollten Sie über eine Karriere als Blogger oder Autor eines Feuilletons nachdenken, denn für eine wissenschaftliche Arbeit ist das ein bisschen viel persönliche Meinung, aber zu wenig erkenntnisfördernder Informationsgehalt.
Um noch einmal kurz auf die "chaotischen Melodien" zurückzukommen (ich reite ein bisschen darauf rum, aber schließlich haben Sie ja diese Steilvorlage geliefert), vielleicht meinen sie damit Melodien die konzeptlos und ohne ersichtliche Regeln kreiiert werden. Das wäre eigentlich noch peinlicher, weil Sie damit nur eins belegten, nämlich dass Sie keinen blassen Schimmer von Jazzharmonik und den zahlreichen Regeln der Jazzkomposition und -improvisation hätten, die sich von der Komplexität mit denen der Klassik messen können, weil ja gerade aus dieser vieles übernommen und verarbeitet wurde. Allerdings müsste ich das letzte empirisch beweisen können. Müsste gehen... Von Kenntnissen über Spielpraxis will ich hier jetzt gar nicht erst anfangen.
Wenn Sie jetzt nochmal ihre Aussage betrachten möchten:

"es gibt viele Möglichkeiten, einen Musikstil zu beschreiben, noch dazu einen so vielseitigen wie den Jazz."

Ich stimme Ihnen voll und ganz zu, aber Sie werden mir wiederum zustimmen müssen, dass die von Ihnen angebotenen Möglichkeiten im Rahmen der angestrebten wissenschaftlichen Abhandlung nicht in Frage kommen.

Ich möchte noch auf eine weitere Äußerung von Ihnen aus der letzten Mail eingehen:

"Hier könnte ich nun Sie auffordern, all die von Ihnen verwendeten Begriffe zu definieren und Hörbeispiele dafür zu nennen. Aber ich schlage vor, wir ersparen uns das gegenseitig."

Den Vorschlag schlage ich aus und bitte Sie ausdrücklich mich zur Erbringung von Hörbeispielen und Definitionen aufzufordern. Wenn Sie wirklich daran interessiert sind...
Ich gebe nur zu Bedenken, dass ich das gleiche dann im Gegenzug von Ihnen fordere - eigentlich sind Sie es ihren Lesern ohnehin bis zum heutigen Tag schuldig geblieben - und das für Sie dann wirklich Arbeit bedeutet.
Für Fusion Jazz und Bossa Nova oder Blue Note und Glissandi brauche ich nur Wikipedia (das sollte für das momentane wissenschaftliche Niveau, auf dem wir uns bewegen, ausreichen) anzustrengen, aber ich denke, dass lasziver Gesangsstil, chaotische Melodien und vulgäre Instrumentalklänge in einschlägigen Lexika schwieriger zu finden sind. Da wird ein kurzer, abgeschriebener Zweizeiler nicht ausreichen.
Das muss aber auch die Konsequenz sein, wenn man sich nicht mit den gängigen wissenschaftlichen Begriffen zu einem Thema umgibt, sondern seine eigenen, polemisierenden und haltlosen Phrasen drischt.

So, Herr Miehling, mein Bier wird warm und Sie sind an der Reihe. Faites vos jeux!

Freundliche Grüße aus dem Jazzclub Telegraph zu Leipzig
Albrecht Ernst

 




Sehr geehrter Herr Ernst,

Sie stören sich an „abwertende[n], polemische[n] Bezeichnungen“ wie „chaotisch“. Dem könnte ich entgegenhalten, dass in Ihrer alternativen Definition von Jazz ebenfalls nicht-wissenschaftlich-objektive, wertende Adjektive vorkommen, nämlich „unverschnörkelt“ und „authentisch“. Übrigens sind auch diese Begriffe im Zusammenhang mit Musik nicht ohne weiteres verständlich.
Die Wortwahl macht hier wie dort die Einstellung des Autors deutlich. Dagegen ist nichts auszusetzen. Ich mache meine Einstellung zum Jazz deutlich und begründe sie ja auch. Man macht mir immer wieder zum Vorwurf, dass ich eine Meinung habe, so als dürfe ein Wissenschaftler das nicht.
Ich habe nie den Anspruch erhoben, dass die kleinen „Was Sie über … wissen sollten?“-Schriften wissenschaftliche Arbeiten im formalen Sinn wären. Die würde vermutlich niemand lesen. Ich bin Wissenschaftler, ja, aber ich bin auch Mensch und, wenn Sie das so nennen wollen, besorgter Bürger.
Außerdem: Wie kann der Repräsentant einer Musik, die wie praktisch jede Musik Emotionen ausdrückt und im Hörer hervorrufen will, sich darüber beschweren, dass die Musik auch emotional rezipiert und charakterisiert wird? Rein wissenschaftlich-objektive Analysen über formalen Aufbau, Rhythmik, Melodik und Harmonik kann man natürlich machen, aber das ist weder das Ziel dieser meiner von ihnen kritisierten Arbeiten, noch würde es etwas über den emotionalen Gehalt der Musik aussagen.  
Ihre umfangreichen Äußerungen besagen letztlich nur, dass ein Wissenschaftler keine Werturteile fällen dürfe. Daraus wiederum folgt, dass ein Wissenschaftler vor nichts warnen dürfe, denn mit einer Warnung ist immer eine Wertung verbunden. Für jemanden, der das schützen will, vor dem gewarnt wird, ist das ein bequemer und nützlicher Standpunkt. Sie werden nicht erwarten, dass ich ihn teile.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Miehling

 

 

 

 

 

Herr Miehling,

 

 

 

sie können mir das eben nicht entgegenhalten, denn unverschnörkelt und authentisch sind sehr wohl wissenschaftlich-objektiv nachvollziehbare Begriffe, auch wenn es zugegeben treffendere Adjektive geben mag. Da lasse ich mich gerne belehren.

 

 

 

Unverschnörkelter Gesang ist ein Gesang, bei dem die Ausschmückung der Melodie durch Verzierung weitesgehend ausbleibt. Authentischer Gesang ist jener, bei der die Auswahl der Texte, ihre Aussage und die Melodien, sowie deren Vortragsweise auf die emotionale Innenwelt des Sängers abgestimmt und teilweise sogar identisch sind. Billie Holidays - eine der stilprägendsten Jazzsängerinnen - Vortragsweise gerade bei Balladen mit traurigen Inhalten wie "Don't Explain" oder "I Fall In Love To Easily" ist dafür ein Paradebeispiel. Das könnte ich natürlich auf Wunsch weiter ausführen.

 

 

 

Ich stelle fest, dass ich in unserer Auseinandersetzung einwandfrei bewiesen habe, dass ihre Argumentationsweise unwissenschaftlich ist und sich das auch auf den Inhalt der angesprochenen Behauptungen übertragen lässt. Was noch viel schlimmer ist, es sind zum Großteil polemisierende, abwertende Behauptungen über Jazzmusik und das bekennen Sie auch noch im Eingang ihrer letzten Mail. Sollten Sie anderer Meinung sein, also dass diese keine Polemik sind, dann beweisen Sie es.

 

 

 

Was mich aber ehrlich gestanden völlig fassunglos macht, ist dieser Satz:

 

 

 

"Ich mache meine Einstellung zum Jazz deutlich und begründe sie ja auch."

 

 

 

Das kann nicht ihr Ernst sein! Das, Herr Miehling, ist eine glatte Lüge! Denn ihre Begründung habe ich nun mehrmals als entweder nicht auf Tatsachen basierend oder eben als Polemik (was die betroffenen Behauptungen für jegliche Diskussion, ob wissenschaftlich oder nicht, disqualifiziert) entlarvt. Dabei habe ich Sie mehrmals aufgefordert, meine geäußerte Kritik zu widerlegen. Sie sind dem nicht nachgekommen, also, so gebieten es die Gesetze der Logik, gestehen Sie ein, dass ich Recht habe und müssen daher ihre Falschbehauptungen zurückziehen.

 

 

 

Sie haben also die Möglichkeit endlich ihrer Pflicht, als an einem Diskurs (egal ob wissenschaftlich oder laienhaft, die Gesetze der Logik sind allgemeingültig) Teilnehmender, die erforderlichen Beweise zu erbringen oder ihre Aussagen zu widerrufen. Tun Sie das nicht, sind Sie kein zu einem Diskurs berechtigter Mensch, sondern schlicht und ergreifend ein Ignorant!

 

 

 

Solange Sie dieser Pflicht nicht nachkommen, ist eine Debatte über alle anderen angeführten Behauptungen, wie zum Beispiel, was "Analysen... über Harmonik und Melodik" etc. im Gegensatz zu plumper Polemik sehr wohl über den "emotionalen Gehalt der Musik" aussagen können, sinnlos.

Albrecht Ernst

 




Herr Ernst,

ich lasse mich von Ihnen nicht der Lüge und der Falschbehauptungen bezichtigen, nur weil Sie in bezug auf Jazz eine andere Meinung haben. Das ist auch Ihres christlichen Glaubens nicht würdig, den Sie in früheren Aussagen durchblicken ließen.

Im übrigen habe ich in dem hier zur Diskussion stehenden Artikel sehr überlegte und abwägende Formulierungen verwendet; z.B. am Ende:

„Die Annahme erscheint plausibel, daß auch Jazz eine solche negative Wirkung haben kann; und sei es nur als ‚Einstiegsdroge‘ zu härterer U-Musik. Die regelmäßige Beschäftigung mit solcher Musik hinterläßt zwangsläufig Spuren, die um so folgenreicher sind, je häufiger, je länger und je lauter diese Musik gehört wird.“

Wenn Sie darauf so ausfällig reagieren, sind Sie einfach ein gutes Beispiel dafür, was eben auch der Jazz aus einem Menschen machen kann. Wobei ich mir bewusst bin, dass im konkreten Einzelfall auch andere Ursachen eine Rolle spielen können.

Unsere Diskussion betrachte ich hiermit als beendet.

Klaus Miehling

 

 

 

  


    

 

28. 1. 2012 - Korrespondenz mit Patrick Schanze 
 

 

Sehr geehrter Herr Miehling,  

Ich studiere Jazz in Leipzig, bin 24 Jahre alt und mir fällt es schwer Ihren Aussagen zu folgen. Gleichzeitig bin ich erheitert und auch traurig, wie jemand heutzutage Leben und gleichzeitig unserem Geist so fern sein kann - Erheitert, weil Sie ihre Argumentation an ein, an Absurdität grenzendes Maß führen und traurig, da Sie sich offenbar dem Schaden, den Sie anrichten, weil Sie Ihre Verantwortung als Publizist und Wissenschaftler nicht wahrnehmen, nicht bewusst sind. 

Lassen Sie uns keine Zeit damit verschwenden uns anzufeinden oder die ganzen Mängel Ihrer Ausarbeitungen und Kausalitätsketten durchzugehen. Die bekommen Sie mit einem gewissen Maß an Aufmerksamkeit und Selbstreflexion allein heraus. Ich will ihnen hier nur Anregungen geben über sich, die Musik und einer modernen Auffassung von Jazz nachzudenken und gewisse Einblicke in das Leben und Wirken meiner Generation von Musikern zu geben. 

Sicher ist unsere Zielsetzung unserer Leben, unseres Handelns und unserer Musik eine Andere aber vielleicht schaffen Sie den intellektuellen Sprung mal auf "die andere" Seite um zu Verstehen wie sich die Welt im Jazz dreht. Jazzmusiker müssen dies oft tun, da ihre Musik ja Wurzeln hat, besonders, wenn man Europäer ist. 

 

 

 

Jazz ist für mich keine Genrebezeichnung. Es ist eine Philosophie. Eine Art Zen - aus dem "Unbekannten" etwas Greifbares zu Schaffen oder auch nur das "Unbekannte" in einem selbst wiederzugeben. In welcher Ästhetik auch immer. Dazu ist im Übrigen ein gehöriges Maß an Wissen über Ordnungen und Form in der etablierten Musik notwendig. Das Schlägt die Brücke zur Vergangenheit. Das ist Tradition und in Verbindung mit Improvisation zu gleich Evolution - Wie, glauben Sie, hätten sich die unterschiedlichen Musikepochen durch die Geschichte hin entwickeln können. Ich denke wir stimmen überein, dass Evolution nicht per se schlecht ist, sie ist natürlich, ja gar notwendig. Sie emergiert Neues, transzendiert dabei Altes und schließt es mit in sich ein. Das gilt für alle Lebensbereiche, auch so für den Jazz. Denn dieser ist die Musik der Evolution, Kreation, der Innovation. Beinah alle bedeutenden Jazzmusiker waren Innovatoren. Aber nicht nur die! Auch viele bedeutenden klassische Musiker. - Mir fällt gerade wieder auf, wie sehr ich dieses Teilen der Musik scheue, die erst nach dem Etablieren einer gewissen Orchesterkultur entstand. Natürlich waren die " alten Meister" Innovatoren, wie ich sie in meinem Verständnis von Jazz sehe. Man denke nur an die unfassbaren Improvisationsstreitkämpfe um Bachs Hofkapellstelle.

 

 

Das Verlagern des Kompositionsaktes in das Spielen hinein ist also schon eine alte Kunst und findet im Jazz, nur richtig wieder zu ihren Anfängen zurück. Ich weiß nicht, wie vertraut Sie mit dem Improvisieren sind aber ich erlebe es immer wieder also einen Spiegel meiner Person, im psychischen, wie musikalischen Sinne. Ich improvisiere innerhalb meiner Sozialisation, also Tonmaterial, das ich studiere, das ich auf Konzerten und Platten höre was meiner Ästhetik entspricht. Man geht durch viele Täler harter Arbeit doch dann und wann und immer öfter schafft man einen Aufstieg zur göttlichen Muse. Man schreibt Musik, die aus einem selbst kommt und man improvisiert seine eigenen Gedanken. Ich bin überzeugt, dass Größen, wie Bach den selben Weg genommen haben, auch wenn er sicherlich andere Gedanken und Einflüsse hatte und daher anders klang. Aber das ist eine formale Sache. 

Beim Spielen/Schreiben verlasse ich durchaus diese Cliches wieder oder breche mit Mustern, wenn ich auch persönlich mit Aspekten meiner Kultur brechen will. Musik ist auch eine Form von Rebellion aber bitte nicht andersherum! Es ist Selbstbestimmung, die eines unserer teuersten Güter ist. Jeder soll sich ausleben können in dem Rahmen, den er sich selbst gegenüber rechtfertigen kann! Alles andere wäre Faschismus. Um alles in der Welt darf man den Menschen die Verantwortung für ihre Gedanken und Handlungen nicht nehmen - es wären nur noch Affen. Verbote und Richtlinien, wie Sie sie propagieren, tun dies. Sicher ist es einfacher mit klaren Handlungsanweisungen einer Schiene zu folgen aber wollen wir das? Jeder "Störfaktor" ist nur ein Impuls von außen. Die Reaktion hingegen kommt vom Individuum selbst. Wir können an diesen Einflüssen uns selbst erkennen. Spreche ich auf hetzerische Texte an, auf wildes musikalischen Aufbäumen, dann bin ich selbst genau das. Es steckt in mir. Es ist mein Problem, das vor den Klängen auch schon da war. Musik ist ein Ausdruck aber gleichzeitig immer nur Musik. 

Genauso verhält es sich meiner Meinung nach mit den anderen soziokulturellen Aspekten, die sie scharf kritisieren. Drogen sind schlecht, wer weiß das nicht? Manche brauchen in einer Phase ihres Lebens den Kick oder gehen den Pakt ein und werden unter Konsum wahnsinnig produktiv aber zahlen am Ende die Rechnung. Jeder kennt die Folgen, jeder entscheidet selbst, ob es ihm das Wert ist. Es ist schade, wenn Leute zu schade kommen oder aus dem Drogensumpf nicht mehr rauskommen aber noch bedauerlicher wäre es alle "an die Leine" zu nehmen 

Auch mit wie vielen Leuten ich gleichzeitig, nach- und übereinander Sex habe, kann getrost nur meine Sorge sein - ein typisches Beispiel für soziale Normen. Was ist promiskuitiv? Übermäßig viele Sexualpartner gibt es rein genetisch gesehen nicht. Die Beschränkung hat sich die Gesellschaft ausgesucht. Jeder möge es bitte so oft tun, wie er es verträgt. 

Wir leben in einer Zeit des Multi-tasking, der Informationsflut und einer schier unendlichen Zahl von neuen Dingen und anderen, fremden Meinungen, die alle verstanden werden wollen und in sich eine Herausforderung für uns beinhalten. Meine Frage mit dieser Replik nun an Sie: Nehmen Sie Ihre Herausforderung an? 

Wie schätzen sie selbst die Ursachen ihrer Haltung gegenüber der Musik ein, die sie selbst fataler Weise als "Gewaltmusik" bezeichnen? Wie kommt man nur aus dieser Bezeichnung wieder raus??? Warum hören sie bei einem Schlagzeug Gewehrschüsse, rohe Schläge und bei einer verzerrten E-Gitarre pure Aggression? Warum legen Sie sich selbst so fest und nehmen eine so undankbare Haltung ein, wie Sie z.B. dem Jazz "nachweisen" aus einem geisteskranken Kopf zu stammen (Interessanter Weise werten Sie das als schlecht, was der eigentliche Punkt ist, der mich besorgt, da auch die "Krankheit" ein Begriff der Normen ist)? Letztlich führt es uns wieder zu einer Frage zur eigenen Persönlichkeit. Warum sieht man Negatives, wenn so viel Positives darin steckt? Warum verschwenden Sie ihre Kraft auf das Schlechte und nicht das Gute? Ein weiser Mann hat mir mal gesagt, dass wir selbst entscheiden, ob wir glücklich sind oder nicht. Konzentration auf die Dinge, die einen herunterziehen kostet genau so viel Kraft, wie Konzentration auf das, was einen aufbaut. Es liegt an uns selbst, für was wir uns entscheiden! 

Ich hoffe Sie kennen den Unterschied zwischen Wissen und Weisheit und versuchen Letztere in ihren zukünftigen Werken mehr zu Wort kommen zu lassen. 

Dum spiro spero 

Patrick Schanze 

 

 

PS: Falls Sie mal in der Gegend sein sollten lade ich Sie herzlich ein in unseren Jazzclub zu kommen, sich mit mir ein Konzert anzusehen und darüber anschließend zu reden.

 

PPS: alle kursiven Absätze sind als Gedankeneinschub beim zweiten Lesen geschrieben. 

 

 

PPPS: Ich befürchtet dieser Artikel passt nicht ins Gästebuch und muss anderweitig zu ihnen gelangen.

 

 

 

 


Sehr geehrter Herr Schanze,

 

 

 

da Sie Ihre Ausführungen im Gästebuch geschrieben hätten, sind sie offenbar auch für die Öffentlichkeit bestimmt. Deshalb werde ich Ihr Schreiben zusammen mit meiner Antwort unter "Korrespondenz" auf meinen Netzseiten unterbringen.

 

 

 

Sie betonen die Improvisation beim Jazz, so als ob ich mich gegen Improvisation ausgesprochen hätte. Das habe ich keineswegs; und als Musiker, der von der „alten“ Musik und historischen Aufführungspraxis herkommt, ist mir Improvisation nicht fremd.

 

 

 

Ihr Satz „Jeder soll sich ausleben können in dem Rahmen, den er sich selbst gegenüber rechtfertigen kann!“, ist nichts anderes als eine elegante Formulierung des „Legal. Illegal. Sch[...]egal“ der Gruppe Slime, also ein Bekenntnis zur Anarchie. Dem entspricht auch Ihre Verteidigung illegaler Drogen. Natürlich kann man der Ansicht sein, dass alle Drogen legalisiert werden sollen. Das ist aber eine andere Diskussion. Bei meiner Kritik gehe ich selbstverständlich davon aus, dass die Gesetze eines demokratischen Staates zu respektieren sind.

 

 

 

„Warum verschwenden Sie ihre Kraft auf das Schlechte und nicht das Gute?“

 

 

 

Weil das Schlechte siegt, wenn es niemand bekämpft. Im übrigen befasse ich mich natürlich weiterhin auch mit dem Guten in der Musik.

 

 

 

Es ist befremdlich, dass Sie von einem „Schaden“ sprechen, den ich angeblich anrichte. Das Gegenteil ist der Fall, denn ich weise auf die Schäden hin, die Gewaltmusik anrichtet. Sie sehen die unzähligen Straftaten, die zerstörten materiellen und immateriellen Werte, die bestohlenen, verletzten und ermordeten Menschen offenbar nicht als Schaden an, oder allenfalls als „Kollateralschaden“, der für die grenzenlose Freiheit in Kauf zu nehmen ist. Hier unterscheidet sich unsere Einstellung ganz elementar, und damit auch unsere Einstellung zu Gewaltmusik.

 

 

 

Mit besten Grüßen

 

 

 

Klaus Miehling

 

 


  

 

 

24. 1. 2012 - Korrespondenz mit Florian Pöschko


Sehr geehrter Herr Dr. Mieling,
 
 ich war nach der Lektüre Ihrer Artikel geschockt über den Werteverfall in der Gesellschaft, oder genauer gesagt in der akademischen Gesellschaft.
 Als Hochschuldozent im Bereich der Popularmusik bzw. Lehramtsausbildung für Gymnasien kommen mir ja immer wieder schlecht recherchierte Hausarbeiten auf den Tisch (Gott sei Dank vor dem Abgabetermin). Auch solche, in denen der Autor versucht, seine persönliche Meinung  mit einseitig sortierter Quellenlage zu untermauern, was zu recht schon beim Versuch zur sofortigen Disqualifizierung aus jeder Form von wissenschaftlichem Stand führt.
 Was hier allerdings geboten wird lässt mir den Atem stocken. Ich habe sofort alle Ihre Aufsätze an meine Diplomanden weitergeleitet als Leitfaden für eine sichere Note "mangelhaft" allein aus formalen Gründen heraus. Übrigens, ist die Konzeption "Lückentextformat" (Man setze hier einfach nach Belieben jedes gewünschte Genre zu fast ein und den selben Fußnoten ein.) eigentlich ihr Ernst ?
 Ich bin mir nicht ganz sicher was Ihr Doktorvater von dieser Art des wissenschaftlichen Arbeitens halten würde. Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, ihn einmal anzuschreiben für den Fall, daß er noch lebt und man ihm einen Herzinfarkt oder wenigstens eine handfeste Sinnkrise über die Ergebnisse seiner Lehre beibringen möchte.
 In letzter Zeit werden ja auch Dokor-Titel wegen Rufschädigung der akademischen Gemeinschaft wieder aberkannt. Ich finde eine solche Hexenjagt zwar übertrieben, aber es gibt Ausnahmen in denen ich bei "unstandesgemäßem Verhalten" absolut Verständnis für die Kollegen aus den "echten Geisteswissenschaften" aufbringen kann.
 Zu den Inhalten Ihrer Aufsätze hätte ich lediglich eine Frage (um mich einmal auf Ihr rhetorisches Plateau zu begeben): Würden Sie den Lebenswandel von Mozart (Allein sein Ende muss eine Warnung für jeden sein), Wagner (Nicht nur die vielzitierte Deutschtümelei, das kennt man ja. Ich meine eher das geschichtswissenschaftlich lupenrein recherchierte mehrmals tägliche Masturbieren), Schuhmann (Neben der Syphilis die ja auch irgendwo herkommen muss ganz besonders seine "Familienpolitik"), Gustav Mahler ("Familienpolitik", die Zweite), Liszt und Pagannini (Wo fange ich da an...) tatsächlich als nacheiferungswerte Modelle für Kinder und Jugendliche sehen ? Das möchte ich gerne genauso detailliert mit einer achten Klasse besprochen sehen, vielleicht parallel zum Aufklärungsunterricht Biologie und Politik/Soziologie zum Thema “Patriarchalische Gesellschaftsstrukturen und Frauenrechte” - Quasi "fächerübergreifend". Und wenn man mal von Kirchenmusik sprechen würde wie sie von Metal und Kriminalität, müsste man eigentlich auch von der Institution Kirche sprechen... Die ich jetzt aber mal im Dorf lasse, auch wenn sich hier ungeahnte Thesen über Bach und Kindesmissbrauch oder den gregorianischen Choral in Relation zur Hexenverbrennung aufstellen ließen... Gott bewahre !
 Ich wäre da wirklich gespannt auf Ihre Antwort... Und ob Sie den Schneid haben, das hier in Ihrem auf 2000 Zeichen limitierten Gästebuch zu veröffentlichen. Was übrigens die Sache mit der Promiskuität angeht: Ich hatte zu Studienzeiten immer “etwas den Eindruck” (ohne den Damen und Herren unrecht tun zu wollen), dass die Mitstundenten/innen der klassischen Abteilungen in dieser Hinsicht ihren barocken, klassischen und romantischen Vorbildern ziemlich das Wasser reichen konnten (Und schon den einen oder anderen Jazz-Studenten dazu gebracht hat, mal direkt zu fragen ob man es eigentlich wirklich so über-treiben muss...)
 
 Abschießend, um auf ein mir dauerhaft erträgliches Mindestmaß an Niveau zurückzukommen: Werfen Sie doch mal einen scharfen Blick in "How Popular Musicians Learn - A Way Ahead for Music Education" von Frau Dr. Lucy Green (Zugegeben, eine ziemliche Neuheit von 2002, Erschienen bei Ashgate/Hampshire) - Just to regain a bit of a neutral perspective, so to speak - (Leider ist wie ich zu meiner Schande gestehen muss mein Latein und Altgriechisch zu schlecht weswegen es “das Englische” tun muss... Zuviel Rock und Jazz, aber wem sage ich das...).
 Es ist mir wirklich schleierhaft, wie man als rational denkender Mensch mit einem gewissen Pflichtbewusstsein nach wirklicher Wahrheitsfindung so etwas einseitig polarisierendes veröffentlichen kann und sich dabei noch ohne Scham und Röte als Teil der Wissenschaftsgemeinschaft bezeichnet.
 
 Mit besten Grüßen

 Florian Pöschko   




Sehr geehrter Herr Pöschko,

wie Sie festgestellt haben, lassen sich lange Texte nicht in meinem Gästebuch veröffentlichen. Ich werde Ihrem Wunsch nach Veröffentlichung aber gerne nachkommen und Ihr Schreiben zusammen mit meiner Antwort anderswo auf meine Netzseite stellen.

Meine Aufsätze über Gewaltmusik sind nicht als Referate innerhalb eines musikwissenschaftlichen Seminars entstanden und richten sich mehrheitlich an ein nicht akademisches Publikum. Daher steht mir die formale Gestaltung frei. Eine Ausnahme ist „Hatte Platon doch recht?“, der sich (auch) an ein musikwissenschaftliches Publikum richtet. Diesen Aufsatz habe ich vor ein paar Jahren Herrn Prof. Hellmut Federhofer geschickt. Er antwortete: „Ihre wissenschaftlich bestens fundierten Ausführungen finden meine volle Zustimmung.“

Die von Ihnen im Betreff genannten kurzen Texte mit dem Titel „Was Sie über … wissen sollten“ sind keine „Art des wissenschaftlichen Arbeitens“, sondern der Aufklärung dienende Informationen für ein Laienpublikum. Es ist eine Frage der Arbeitsökonomie, Textteile, die für mehrere Musikstile gleichermaßen gelten, unverändert zu lassen. Die Leser zahlen nichts dafür, und wenn sie mehr als einen dieser Texte lesen, können sie ja die ihnen bereits bekannten Abschnitte überspringen.

Was die „einseitig sortierte Quellenlage“ betrifft: Nennen Sie mir doch Quellen, die meine Ergebnisse widerlegen! Es gibt gerade mal eine Handvoll Studien, die angeblich für die Harmlosigkeit von Gewaltmusik sprechen. Ich habe mich um diese Studien keineswegs gedrückt, sondern ihre Fehler bzw. die fehlerhaften Schlussfolgerungen in „Gewaltmusik. Populäre Musik und Werteverfall“ dargelegt. 

Und da wir gerade bei musikwissenschaftlicher Korrektheit sind: Was sagen Sie eigentlich Ihren Studenten, wenn sie die Namen bekannter Komponisten wie Schumann und Paganini falsch schreiben (von meinem Namen will ich ja gar nicht reden)?

Das Argument mit dem Lebenswandel einiger klassischer Komponisten ist mir schon oft vorgetragen worden. Dazu ist einfach zu sagen, dass es eine Frage der Menge bzw. des Verhältnisses ist. Während Sie in einigen hundert Jahren vielleicht zwei Dutzend klassischer Musiker mit schlechtem Lebenswandel finden, ist das Verhältnis bei Gewaltmusikern umgekehrt. Auch so schwere Straftaten wie bei Gewaltmusikern werden Sie bei kaum einem klassischen Musiker finden. Beschränken Sie sich doch einmal auf die letzten hundert Jahre, und versuchen Sie, auch nur halb so viele kriminelle oder sexuell ausschweifende klassische Musiker zu finden, wie ich entsprechende Gewaltmusiker in „Gewaltmusik. Populäre Musik und Werteverfall“ oder im Vorgängerbuch „Gewaltmusik – Musikgewalt“ genannt habe! Ich habe diese Aufforderung in den letzten fünf Jahren schon mehreren Kritikern gegenüber ausgesprochen; aber bis jetzt wollte oder konnte ihr niemand nachkommen.

Ihren „Eindruck“ über das Sexualverhalten klassischer Musiker kann ich nicht teilen, obwohl auch ich ein musikpraktisches Studium abgeschlossen habe. Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber Sie wollen doch wohl nicht allen Ernstes mit einem subjektiven „Eindruck“ argumentieren, während Sie mir Unwissenschaftlichkeit vorwerfen?

Lesen Sie einmal „Dark Side of the Tune: Popular Music and Violence“, Farnham u. Burlington 2009 von Bruce Johnson und Martin Cloonan. Sie werden feststellen, dass diese Kollegen in dem von ihnen untersuchten Bereich zu ganz ähnlichen Ergebnissen gekommen sind wie ich.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Klaus Miehling

 

  

 

 

 

 

27. 1. 2012

 

 

 

 
Sehr geehrter Dr. Mielhling,

 Ich glaube es ist Zeitverschwendung sich mit Ihnen zu beschäftigen, Sie scheinen ja ziemlich “Beratungsresistent zu sein”. Das Problem liegt (nicht nur) meiner Meinung nach nicht in den Aussagen ihrer Quellen die zu widerlegen wären um Ihre Behauptungen zu falsifizieren, sondern in Ihrer Interpretation (Da fällt mir ein, ich habe ganz vergessen den guten Eckart Altenmüller zu fragen, ob er in ihrem Buch wirklich so und in diesem Zusammenhang zitiert werden möchte). In dieser Zeit kümmere ich mich lieber um die Verifizierung meiner eigenen, was ich scheinbar mit einigen Ihrer Kollegen gemein habe (Wobei die den Vergleich wie es aussieht nicht gerne hätten).
 Ich war ja nicht sonderlich erstaunt mit welcher Vehemenz sich eine nach der anderen (klassischen) musikwissenschaftlichen Institution dieses Landes auf meine Anfrage hin von Ihnen und Ihren Zitat “bereits hinreichend bekannten”, “befremdlichen” und “pseudowissenschaftlichen” “Pamphleten” distanziert hat, die “lediglich Ausdruck eines privaten Kreuzzugs” sind. Und genauso, wie man es mir empfohlen hat mich von Ihnen “einfach fernzuhalten” und Sie wie “die meisten Musikwissenschaftler nicht sonderlich ernst (zu) nehmen” werde ich wohl verbleiben. Allerdings werde ich im Hinterkopf behalten “dass vielleicht früher oder später doch einmal zu prüfen wäre, ob dieses Betreiben nicht als gefährlich einzustufen ist” (Wohl aber eher viel, viel später...).

 Bis dahin
 Florian Pöschko

 

Sehr geehrter Herr Pöschko,

die „Beratungsresistenz“ befindet sich ebenso auf Ihrer Seite. Im Gegensatz zu mir haben Sie jedoch bisher keinerlei Argumente vorgetragen. Sie ziehen sich auf diffamierende Behauptungen zurück und vermeiden eine sachliche Diskussion.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Miehling


 

2. 1. 2012

 

Der Autor des folgenden Berichtes hat sein Einverständnis zur namentlichen Veröffentlichung zurückgezogen, nachdem er als "Nazi" beschimpft worden war.

 

 

Gewaltmusik an Silvester - Erfahrungsbericht

 

Ich bin 26 Jahre alt und mache eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker. An Silvester wurde ich als Beschallungssystembetreuer auf einer Silvesterfeier eingesetzt. Dabei mußte ich leider am eigenen Leib die erschreckende Erfahrung machen, daß alles, was Sie über die körperliche Wirkung von Gewaltmusik gesagt haben, der Wahrheit entspricht.

Auf der Feier wurde hauptsächlich technoartige Musik mit durchgehendem Vier-Viertel-Schlag gespielt. Zehn Stunden lang donnerten die Tiefbässe und brachten den gesamten Hallenboden und vor allem den Bühnenboden, auf dem ich die meiste Zeit über stand, zum Vibrieren und Zittern. Zeitweilig hätte man das Gefühl haben können, die Bühne bricht jeden Moment zusammen oder die Welt geht unter. Ein auf einem Tisch abgestelltes, gefülltes (!) Getränkeglas des Discjockeys rutschte aufgrund der extremen Erschütterungen bei jedem Baßschlag ein Stück weiter. Ich mußte es schließlich greifen und in die Mitte des Tisches zurückstellen, damit es nicht auf den Bühnenboden fiel.

Es stimmt tatsächlich, daß man bei einer solchen Musik in einer solch extremen Lautstärke nicht nur musikalisch, sondern durch die Baßschläge und Vibrationen auch geradezu körperlich ‚angepackt‘ und zum Tanzen aufgefordert wird, um nicht zu sagen, gezwungen. Denn als ich auf der Tanzfläche stand, zerrten und zuckten die Baßschläge derart an und in meinem Körper, daß es mich bei jedem Schlag in die Höhe trieb, als ob die Bässe mich physisch zum Hüpfen bringen würden. Der Boden der Tanzfläche war aus Holz und vibrierte so stark, daß ich das Gefühl hatte, den Halt unter meinen Füßen zu verlieren. Um Mitternacht wurde eine Konfettikanone gezündet. Die glatten, folienartigen Konfettischnipsel auf dem Boden erhöhten zusätzlich zu den gleichgewichtsgefährdenden Baßvibrationen schlagartig die Rutschgefahr und man konnte sich nur sehr langsam und konzentriert auf der Tanzfläche fortbewegen.

Das extreme Zerren der Baßschläge am Körper und das permanente Dröhnen, Vibrieren und Donnern in der gesamten Halle empfand ich als Körperverletzung und Vergewaltigung. Man wird durch die zuckenden Bässe derart ‚mitgerissen‘, daß man physisch zum Tanzen geradezu genötigt wird, auch wenn man das vielleicht gar nicht will. Man wird der Freiheit beraubt, friedlich und unaufgehetzt bleiben zu dürfen, solange man diesen permanenten Baßschlägen und Vibrationen ausgesetzt ist.

Zusätzlich zu Gehörschutzstöpseln trug ich einen geschlossenen Kopfhörer in der Hoffnung, ich könne die Schallwellen damit möglichst schon außerhalb des Ohres aufhalten. Aber selbst dieser doppelte Schutz scheint nichts genützt zu haben. Als ich wieder zuhause war und versuchte, zur Ruhe zu kommen, hatte ich das Gefühl, ich würde schlechter hören als vorher. Mein Körper befand sich in totaler Unruhe, Aufgeregtheit, Aufgehetztheit und Aufgewühltheit. Doch es kam noch schlimmer.

Zunächst: Kein Mensch kann völlige Stille hören. Jeder Mensch hört einen gewissen Grundton oder ein Grundrauschen im Ohr, wenn er sich in einer stillen Umgebung befindet. Abends vor dem Schlafengehen beispielsweise, wenn alles ruhig ist und auch kein Straßenlärm oder andere Geräuschkulissen mehr da sind, hört man seinen körpereigenen Grundton.

Wie ich so in der Mitte meines Schlafzimmers stand und aufmerksam in mich selbst hineinhörte, um herauszufinden, was mit meinem Gehör passiert war, machte ich eine entsetzliche Entdeckung: Mein körpereigener Grundton, sonst immer gleichmäßig und ruhig, war lauter als sonst, hektisch und chaotisch und von einem brodelnden Rauschen begleitet. Ich hatte das Gefühl, daß das Blut in meinem Gehirn kocht. Das brodelnde Rauschen war nicht gleichmäßig zu spüren, sondern IM RHYTHMUS DER BASZSCHLÄGE. Obwohl die Veranstaltung längst zu Ende und ich wieder zuhause war, hörte und fühlte ich weiterhin die Baßschläge des Vier-Viertel-Rhythmus der Technomusik im Grundton und Grundrauschen meines Gehörs sowie in den Blutströmen meines Gehirns. Da fiel mir ein, was Sie in Ihren Büchern über die Wirkung von Gewaltmusik auf den Körper geschrieben haben, nämlich, daß sie Gehirnströme verändern und einen Menschen physisch manipulieren und beeinflussen kann. Ferner, daß Gewaltmusik das Gehirn ‚programmiert‘ und körpereigene Frequenzen verändert. Diese Programmierung hatte ich nun also am eigenen Leib erlebt, indem ich in meinem Kopf und im Gehör weiterhin die Baßschläge der Technomusik spürte und hörte, obwohl die Musik längst nicht mehr da war. Daraus schließe ich, daß mein Gehör und meine Blutströme im Gehirn durch die Vier-Viertel-Schläge der Technomusik derart beeinflußt und getrimmt wurden, daß der Körper sich selbst dann noch so verhielt, als liefe die Musik weiterhin, obwohl sie längst abgeschaltet war. Ich bekam große Angst und machte mir Sorgen, ob sich mein körpereigener Grundton und die Blutströme im Gehirn von diesem Gewaltmusikangriff regenerieren und zu ihrem ursprünglichen Verhalten zurückkehren würden.

Obwohl mir schon vorher bereits klar war, daß alles, was Sie in Ihren Büchern geschrieben haben, wahr ist, mußte ich diese Wahrheit in der Silvesternacht 2011/2012 unnötigerweise leider am eigenen Leib erfahren. Für meine berufliche Zukunft werde ich aus dieser Erfahrung entsprechende Konsequenzen ziehen und den Bereich Gewaltmusik radikal und vollständig verlassen. Wenn mich jemand fragen würde, wie ich mir die Hölle vorstelle, würde ich ihm von dieser Technomusik-Feier erzählen.“

 

 

 

 

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